Im Alphüsli

Ein Blitz erleuchtet den Raum. Direkt darauf folgt ein knallender Donner, der das Geschirr auf der Ablage zum Vibrieren bringt. Während vor dem Fenster der Regen vom Himmel rauscht, steht vor mir mein Kaffee mit Ziegenmilch und ich lese über den Wasserbedarf der Schafe, die diesem Unwetter gerade auf der Weide am gegenüberliegenden Hang trotzen. Hier in der Küche des kleinen Alphäuschens ist das Licht immer dumpf. Wenn die Lampe aus ist und nur das Tageslicht durch die kleinen Fenster dringt, auch abends, wenn nur die kleine Röhre an der Decke Licht spendet, und auch jetzt, während ich gefühlt mitten im Donner hocke. Hier in der Küche starten wir mit Brot mit “Konfi” und Ziegenkäse in den Tag, hier machen wir eben diesen Käse selbst, hier spielen am Wochenende die Kinder und hier reden wir über die Themen auf der Alp.

Und ich bin ein neugieriger Mensch. Ich liebe es, mir ein eigenes Bild zu machen, um zu verstehen, warum Dinge sind wie sie sind und mir eine möglichst umfassende Meinung zu bilden. Denn meine knapp dreissig Jahre Lebenserfahrung haben mir immer wieder gezeigt: Wer nachfragt, bekommt oft schlaue Antworten, Entscheidungen ergeben plötzlich Sinn und das Bewusstsein für die Komplexität von Problemen und den dazugehörigen Entscheidungen wird deutlicher.

Und so begebe ich mich Mitte Juni auf diese Schafalp im Graubünden, nehme mir frei um hier mitzuarbeiten, und möchte dadurch das Leben auf der Alp kennenlernen und einmal selbst erfahren: Wie ist das Leben mit den Tieren und in der Natur? Und ich bin dankbar, dass ich hier in der Alpküche auch all meine Fragen stellen darf. Während ich am Tag mit meiner Gastgeberin und Hirtin Sandra über die Schafweiden wandere und mit ihr Zäune für die kommenden Weiden ziehe, kommen wir hier im dumpfen Licht zur Ruhe. Hier führen wir, ab und zu auch zum knisternden und wärmenden Feuer, Gespräche über den Wolf und die Ursprünglichkeit unseres Essens. Und ja, ich habe einen Bachelor of Science in Ernährungswissenschaften und weiss daher einiges über das, was bei vielen oft ganz nebenbei passiert: das Essen. Doch das Studium ist schon einige Jahre her und vieles des Gelernten war auch damals nur theoretisches Wissen. Über die Herstellung von Käse habe ich also sicher schon mal eine Klausur geschrieben und hätte trotzdem, ohne Hilfe, aus frischer Ziegenmilch keinen Frischkäse herstellen können, geschweige denn das Tier alleine melken können.

Jeden Morgen und jeden Abend werden die sieben Ziegen gemolken und geben bis zu sechs Liter Milch.

Zum Trennen von Molke und Käsebruch hängen wir das gefüllte Leintuch in den kühlen Keller – unser “Kühlschrank”.

Aber mit der Hilfe von Hirtin Sandra lerne ich hier auf 1873 Metern das Melken und mache auch meinen ersten eigenen Ziegenkäse. Die Ziegen grasen vor der Tür und wir melken sie täglich zwei Mal. Die Milch sieben wir für den Frischkäse ab, erhitzen sie auf 32 Grad, geben Lab und Kefir hinzu und lassen die Mischung nach dem Rühren 24 Stunden stehen. Dabei entstehen Käsebruch und Molke, die wir danach durch ein Leintuch geben und so über nochmal 24 bis 48 Stunden voneinander trennen. Die genaue Dauer bestimmen wir, je nach gewünschter Konsistenz. Dafür hängen wir das mit Molke und Käsebruch gefüllte Leintuch in den Kühlen Keller und warten. Das was im Supermarkt in Sekunden passiert – der Griff zum Frischkäse, ab in den Einkaufskorb und an die Kasse – das dauert hier mehrere Tage. Und die Wertschätzung für das, was mich jeden Morgen für den Tag in den Hängen der Schafweiden stärkt, steigt, dadurch dass die Herstellung Zeit in Anspruch nimmt und ich selbst zum Erfolg beitrage, noch viel mehr.

Und die Wölfe? Die sind da, haben an einem Tag Schafe in einer benachbarten Alp gerissen und haben an einem anderen Abend auch die Yaks eines weiteren Älplers vertrieben, der hinter dem Bergmassiv, das an unseren Hof grenzt, zu Hause ist. Die Rückkehr des Wolfes polarisiert, die Gespräche darüber können lange geführt werden, und seine Rückkehr sorgt hier oben vor allem für eines: für mehr Arbeit für den Schutz der Herden. Und so wurde, vielleicht auch dank der Herdenschutzhunde dieser Alp, in meinen 10 Tagen auf dem Hof kein Schaf gerissen. Ich drücke die Daumen, dass das diesen Alpsommer dabei bleibt.

Etwas mehr als zwei Tage hat die Herstellung meines ersten eigenen Frischkäse gedauert.

497 Schafe und eine Hirtin: Das Leben auf der Alp findet in guter Gesellschaft statt.

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Weniger ist mehr

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15:00 Uhr – Kaffee & Kuchen