Weniger ist mehr
Mit meinem schweren Rucksack auf dem Rücken und dem Duft von dem Ziegenkäse darin kam ich Ende Juni nach meinen zehn Tagen auf der Alp nach Hause. Es waren viele Eindrücke, die ich sammeln durfte. Viele Eindrücke, auf die ich in den darauffolgenden Wochen zurückblickte. Mal in Gesprächen, in denen ich davon berichtete, wie ich zum ersten Mal Ziegen molk oder davon erzählte wie ich an den steilen Hängen der Schafweiden immer wieder über mich hinaus wachsen musste. Während der Ziegenkäse irgendwann aufgegessen und der Duft verflogen war, blieb aber eine Erkenntnis. Denn in diesen Wochen nach der Alp wurde mir etwas klar. Etwas, von dem ich dachte, ich wüsste es schon lange: Weniger ist mehr.
In Zeiten des Klimawandels und Online-Handels, in Zeiten der Digitalisierung und Globalisierung ist uns schon lange bewusst, dass wir in der westlichen Welt von dem meisten zu viel haben. Wir besitzen viele Kleider, horten alte Technik, kaufen Kosmetikartikel in unterschiedlichen Ausführungen, haben genug Vorräte und wissen oft nicht, welche unserer Habseligkeiten gerade noch in unserem Keller schlummern. Bis der nächste Umzug kommt und wir uns zumindest einmal damit auseinandersetzen müssen.
Und so kam ich von der Alp auch mit einer unerwarteten Erkenntnis: Ich brauche sehr wahrscheinlich noch weniger, als ich habe. Denn auf der Alp hatte so gut wie alles einen Zweck. Die Regenhose, die mich beim Gewitter auf der Kuhweide trocken hält, die Gamaschen, die meine Waden morgens vor dem Tau schützen, die Wanderschuhe, mit denen das Wandern über Stock und Stein bequem und sicher verläuft. Mit den Vorräten knauserten wir zwar nicht, doch gingen trotzdem bewusst mit ihnen um, denn sie waren begrenzt und ihr Weg hier hoch war mühsamer. Entweder wurden sie Anfang der Saison mit dem Helikopter hochgeflogen oder sie wurden in den Wochen darauf hochgetragen. Und so waren sie wohl überlegt. Lange haltbar waren Reis, Nudeln, Polenta und Hirse, genauso wie eingemachtes Gemüse, sowie energiespendende Nüsse und Trockenfrüchte. Wöchentlich erhielten wir eine kleine Auswahl an frischem Gemüse und kombinierten jeden Tag eines davon zum Essen. Eier sammelten wir täglich im Stall nebenan, Ziegenmilch molken wir selbst, machten daraus Käse, tranken sie zum Kaffee oder assen sie zum Müsli. Der Zweck der Mahlzeiten: sie sollten den Hunger stillen und Energie spenden. Eigentlich logisch, oder?
Doch ich kann mich nicht davon freimachen, dass auch ich mich, obwohl ich es eigentlich besser weiss, zu Hause oft anders verhalte: Bei der Essenswahl kaufe ich bisher oft vorwiegend, worauf ich Lust hatte. Anstatt mich zu fragen, was ich noch da habe und was ich daraus machen könnte, fragte ich mich eher, worauf ich Lust habe und kaufte das dann ein. Dadurch, dass ich aber oft nur für mich koche, bleibt natürlich jedes Mal etwas übrig und so entstand über die Jahre ein Vorrat. Grundsätzlich ist das natürlich nicht schlecht. Schade ist nur, wenn der Vorrat so lange Vorrat bleibt, bis das Haltbarkeitsdatum von Lasagneblättern oder Süssigkeiten um manchmal Jahre überschritten wird.
Und auch mein Kleiderschrank ist sehr gut gefüllt. Dabei kaufe ich durchaus bewusst ein, greife meistens zu Second-Hand-Kleidern und setze oft auf Qualität. Aber auch in meinem Kleiderschrank finden sich Teile, die ich selten und Jahre nicht getragen habe oder gar vergessen habe, dass ich sie besitze. Und das ist schade. Denn es sind schöne Teile. Teile für die aber entweder das Wetter nicht passt, die sich bei der morgendlichen Kleiderwahl nicht gegen meine Lieblingsteile durchsetzen können oder doch irgendwie unbequem kneifen. Schlicht: Ich habe mehr Kleider, als ich trage.
So sehr ich mich also bemühe, Second Hand zu kaufen oder bei neuen Teilen auf Qualität zu setzen, alte Teile zu verschenken oder zu spenden, so sehr ich mich bemühe, weniger zu kaufen, so sehr realisierte ich nach meiner Rückkehr von der Alp, dass es doch immer noch viel war. Und ich realisierte es auf einer anderen Ebene. Denn ich habe noch nie mit so wenig wie auf der Alp gelebt und war selten vorher damit so zufrieden.
Ab wann zu viel zu viel ist, kann ich immer noch nicht definieren. Aber keinen Überblick über das zu haben, was ich besitze, scheint mir ein gutes Indiz dafür zu sein und so verbrachte ich die letzten Wochen damit, auszusortieren. Radikaler als bisher, aber nicht kopflos. Denn das zu viel einfach in die Tonne zu werfen, ist ja auch keine Lösung. Ich habe einen ersten Teil dem Schweizerischen Roten Kreuz gespendet und bringe noch weitere Teile in die Brocki. Ich legte beiseite, was ich reparieren lassen möchte, und hielt mich zurück neue Kleider zu kaufen. Ich trug ausserdem alte Kleider wieder, die ich beim Aussortieren wiederfand. Und ich bin dabei Vorräte langsam aufzubrauchen und dann langfristig nicht mehr anzusammeln. Es sind erst eineinhalb Monate und ich werde vermutlich nie zur Minimalistin, aber das ist auch nicht das Ziel. Wichtig ist für mich einfach die erneute Erkenntnis, dass weniger mehr ist und ich damit aktuell ganz schön glücklich bin.