Für wen bist du eigentlich?

Wir stehen im Hotellift als sich unsere Wege in der ersten Etage trennen. Ich bin mit meinen Eltern für ein Familienwochenende in Bayern, unser Tag war lang und so soll es ein gemütlicher Abend werden. Wir wohnen auf verschiedenen Etagen, aber haben das gleiche Ziel: Den Fernseher. Denn der Eurovision Song Contest hat gerade begonnen. Und unter den diesjährigen Favoriten ist die Schweiz. Natürlich drücke ich die Daumen. Aber nicht nur, weil in diesem Wettbewerb für Deutschland zu sein, selten erfolgreich war.

“Für wen bist du eigentlich?”, ist dabei eine Frage, die mir als Deutsche in der Schweiz in den letzten Jahren häufiger gestellt wurde, wenn es um internationale Wettbewerbe ging. Auch wenn ich mich oft fragte, welche Rolle meine Antwort spielte, war sie doch auch viele Jahre klar. Im Fussball habe ich mit der WM 2006 im eigenen Land ein Sommermärchen erlebt, das mich als 12-Jährige geprägt hat. Seitdem holte ich selbstverständlich alle zwei Jahre die schwarz-rot-goldene Hawaiikette hervor und fieberte bei den deutschen Spielen mit. Auch auf einer meiner ersten Schweizer WG-Parties, die während eines Deutschland-Spiels stattfand, fieberte ich mit dem anderen Deutschen auf der Party natürlich für unsere Heimat mit. “Wir” verloren zwar, aber konnten uns immerhin die Sprüche dafür gemeinsam abholen.

Dabei bin ich ehrlich: Wenn Deutschland jeweils aus dem Wettbewerb ausschied, ärgerte mich das nur kurzzeitig. Denn für mehr Emotionen war mir der Fussball an sich nicht wichtig genug. Was ich daran vor allem schön fand, war das verbindende Element: Zu sehen wie ein Sport, selbst so ein unübersichtliches Land mit über 80 Millionen Menschen, für einen Monat vereint, war jedes Mal schön. Dass wir, zumindest in meinem kurzen Leben, bisher immer wieder weit vorne mitspielten, half da natürlich.

Beim Eurovision Song Contest ist das anders. Hier sind wir weniger erfolgsverwöhnt. Als “Wadde hadde dudde da?” im Jahr 2000 den fünften Platz belegte, war ich erst sechs und ein fünfter Platz ja grundsätzlich auch keine herausragende Leistung, dachte ich vermutlich damals. Danach blieb nur noch Lenas Sieg 2010 in Erinnerung. Der einzige Sieg Deutschlands, den ich in meinen 30 Jahren miterleben durfte. Unser Ziel hiess deshalb meistens: Hauptsache besser als letztes Jahr. Und ich habe wohl auch deswegen die letzten zwölf Jahre nicht mehr eingeschaltet. Bis gestern.

Denn heute bin ich, wenn ich darum gebeten werde, Stellung zu beziehen, oft für zwei Länder. Und das nicht nur weil das mein Mitfiebern beim Wettbewerbe potentiell verlängert oder die Jubelchancen erhöht. Nein, auch weil die Schweiz mein zu Hause geworden ist. Ich weiss nach sieben Jahren in der Schweiz oft besser Bescheid, was hier läuft, als bei mir in der Heimat. Ich identifiziere mich immer mehr mit diesem kleinen Land, das ich in mein Herz geschlossen habe.

Und so dreht sich meine Mutter bei unserem Abschied im Lift wohl auch deshalb nochmal um, um mir und der Schweiz die Daumen zu drücken. Und hey, wenn sogar meine Mutter schon “für mich” und die Schweiz die Daumen drückt, dann darf ich das doch erst recht, oder? Auch wenn ich da vielleicht hin und wieder aus etwas opportunistischen Gründen handle.

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